Ein neuer Beifahrer.

Seit heute nachmittag haben wir einen neuen Beifahrer: unseren Auspuff! Eher gesagt das Endrohr des Auspuffs.

Der dachte sich wohl, ach, ist immer so kalt und nass unterm Auto. Und dazu  noch dieser Schmutz und die Abgase. Da fall ich mal ab, und gesell mich bequem zum Roller in die Heckgarage, schön ins Warme.

Gesagt, getan. Schon kam er uns heute während der Fahrt durch den Laheema Nationalpark entgegen.

Er reiht sich damit – immerhin nach 10 Jahren Dienst – ganz elegant in die Reihe der Material-fressenden Ereignisse der letzten Monate ein: Reifen, Scheibe, Reifen, Scheinwerfer…

Was wir nun mit diesem Saboteuer machen, wissen wir noch nicht. Eigentlich gibt es keine wirkliche Notwendigkeit einer Reparatur, lauter ist das Auto nicht geworden. Mal überlegen ob wir einen neuen besorgen, und wenn ja, wo. Und dann wird er sein blaues Wunder erleben, denn dann landet er auf einer fiesen ex-sowjet Altmetallentsorgung – da herrschen noch ganz andere Sitten …

Tallinn – eine echte Überraschung!

Wir dachten, ach, wird bestimmt ganz nett. Aber das Tallinn am Ende absolut beeindruckend ist, hätten wir nicht erwartet.

Zunächst die Altstadt, 1997 zum UNESCOWeltkulturerbe erklärt. Tallinn ist die Hauptstadt Estlands, fühlt sich aber, wenn man erstmal die Altstadt-Mauern betreten hat, an wie ein großes Dorf. Das Mittelalter lässt grüßen. Scheinbar unzählige Gassen, jede geschmückt mit schönen Häuserfassaden. Man schlendert  vorbei an alten Gilde-Häusern, der Stadtmauer mit seinen dicken Türmen, Kirchen und Kathedralen, und in der Mitte der Rathausplatz mit seinen Cafes und Restaurants. Eine wirklich schöne Architektur, beeindruckend vor allem durch den wilden Mix der verschiedenen Epochen. Besonders gefallen hat uns die russisch-orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale, mit ihren weit sichtbaren Zwiebeltürmen ein sehr fremdartiges Bauwerk in dem dortigen Häuserumfeld.

Der Tourismus bestimmt hier das Treiben: wenn einem nicht gerade eine Busladung Touris entgegen kommt, wird man von einem Restaurant-Kellner oder Souvenir-Verkäufer angequatscht.

Haben uns auch das Occupation Museum angeschaut, das die Geschichte Estlands unter sowjetischer Besatzung zeigt. Aus unserer Sicht nicht wirklich lohnenswert, es sei denn man möchte sich mehrere Stunden Videomaterial anschauen.

Am Rathausplatz haben wir uns dann bei Traumwetter einen Kaffee gegönnt. Etwas irritiert waren wir über den Preis für einen Cappuccino (immerhin 3,50 EUR), während er aber nur eine Straße weiter die Hälfte gekostet hätte. Wieder was gelernt.

Mehr durch Zufall (Tipp von einem Touren-Guide) haben wir ein echtes Highlight entdeckt: das ehemalige Gefängnis Patarei, etwas außerhalb des Zentrums gelegen. Ganz ehrlich, das war mit Abstand das schaurigste was ich in meinem (zugegebenermaßen jungen) Leben bisher erlebt habe. Das Museum nennt sich Museum, ist aber eigentlich keins, denn hergerichtet, ausgestellt oder gar rekonstruiert ist hier nichts. Alles wurde einfach so belassen wie es war, als man das Gefängnis schloss. Und geschlossen wurde es erst 2005 was man nicht glauben mag, wenn man Art und Zustand betrachtet. Erinnert eher an die Kriegs- oder Vorkriegszeit. Licht oder Schilder hat man vorsichtshalber auch nicht angebracht, das heißt man läuft durch die dunklen Gänge des Gefängnisses und merkt ziemlich schnell dass das hier alles sehr echt ist. Man meint, es wären vor 10 Minuten die letzten Gefangenen aus den Zellen geflohen. Das ist Schock-Tourismus vom allerfeinsten! Wer die echten Sowjet-Zeiten Estlands hautnah erleben will, muss unbedingt hier her kommen!

Von den 410 .000 Einwohner Tallinns sind ca. 50% Esten und über 38% Russen! Das merkt man an jeder Ecke, aber besonders auf dem „Balti Jaam Market“, ein russischer Markt abseits der Altstadt. Alltägliche Waren, alles sehr authentisch. Alte russische Omis die ein paar Blumen verkaufen. Oder Marmelade. Oder Kräuter. Kleidung noch und nöcher. Alles gänzlich ohne Tourismus. Alles sehr günstig (für unsere Verhältnisse). Hier wird einem final klar, das Tallinn zwei Seiten hat. Ein paar Hundert Meter abseits der geschönten Altstadt ist das soziale Gefälle spürbar.  Die Architektur, die Menschen, die Atmosphäre – alles wirkt hier ganz anders. Nicht mehr rausgeputzt, stattdessen das wirkliche Leben.

Ach ja, wir stehen im Stadtteil Pirita auf dem Pirita Harbour Camping im olympischen Yachthafen (1980 zu den Olympischen Sommerspielen in Moskau erbaut), direkt an der Tallinner Bucht. Der Camping ist eigentlich eher ein Stellplatz, aber für erfreuliche 12 Euro eine Erholung für die Reisekasse.